It’s not the gear, it’s the ear!

Well, this is not entirely true. Als ich den Satz vor wenigen Wochen zum ersten Mal las, war ich sehr begeistert. Doch, je mehr ich über die Bedeutung nachdachte, desto mehr stellte ich fest, dass er je nach Kontext nicht ganz den Kern trifft. Denn, werden wir nicht durch Dinge zu dem, was oder wer wir sind? Ich begab mich auf eine Deutungssuche

In wenigen Tagen wird der grossartige Effektgeräte-Hersteller aus den USA ein neues Pedal veröffentlichen. Seit wenigen Tagen sind bisher nur drei Bilder auf Instagram publiziert und hunderte von Spekulationen aufgestellt. Am 17. Mai kommt ein neues Pedal von Meris, heisst es. Ich persönlich kann’s kaum erwarten und rätsle mit Tausenden von Followers, was denn der nächste Geniestreich sein wird. Ganz nebenbei, bin ich überzeugt, dass ich das Produkt so oder so erwerben werde. Meris ist aus meiner Sicht ein absoluter No-Brainer. Neben Empress und Strymon mein absoluter Favorit in Sachen Pedale. Eine Hausnummer in Sounddesign, Qualität und Preis/Leistung. So viel vorab…

Mein lieber Musikkollege aus Deutschland brachte vor wenigen Wochen den Satz «It’s not the gear, it’s the ear!» Diese Aussage schreibt er sich zu als eine Art Reminder an sich selbst. Auf Instagram sah ich dann erneut ein Bild von seinem wahrhaftig teuren Pedalboard (Effektgeräte des State of the Art) samt einem E-Cello. Hellauf war ich begeistert, stellte jedoch fest, dass die Bedeutung nur bedingt aufging. Etwas passte für mich nicht! Aber was und warum?

Denn «Du bist, was Du liest und Du bist, was Du isst» usw. Ganz ehrlich und unter uns: Ja, es sind all die Dinge, es ist das Equipment, das uns grösstenteils zu dem macht, was wir sind oder vorsichtig gesagt wer wir sind. Frage: Ist all das Equipment denn kein Helferchen in allgemeiner Kreation? Geben wir nicht gern Geld dafür aus und zeigen es öffentlich im Internet? Absolut! Das machen wir doch so gern. Wo wären wir denn ohne unser Equipment? Die meisten von uns wären, ganz ehrlich, nicht sehr weit! Selbstverständlich genrebedingt.

So bitter das klingen mag, so ehrlich und geradeaus ist es. Ich persönlich habe meine Spieltechnik seit Jahren vernachlässigt und mich komplett der Produktion verschrieben. Ich bin kein Purist mehr. Zum Einsatz kommen meine kleinen Helferchen unter meinen Händen. Soft- und Hardware ist ein Muss. Aus meiner Sicht ist die technologische Entwicklung fortgeschritten genug, um zu assistieren ohne dabei die komplette musikalische Kontrolle völlig zu übernehmen, auch wenn sie dies könnte. Das musikalische Verständnis muss nach wie vor vorhanden sein. Ein musikalisches Gespür ist von Nöten. Das Ohr ist entwickelt. Der Einsatz von Technik assistiert, kompensiert, erleuchtet.

Der Segen des Fortschritts

Nun, um beim Beispiel mit Meris zu bleiben: Meris entwickelte ihr kommendes Pedal während der letzten zwei Jahre. Die Erwartungen sind bereits gigantisch. Ich selbst kann’s kaum erwarten. In meiner Vorstellung oszilliere ich zwischen diversen Ideen, was dies denn sein könnte. Ich weiss es nicht. Aber es wird toll! Die Technologie erlaubt es inzwischen in ungeahntes Territorium vorzudrängen. Schauen wir allein auf die rasante Entwicklung der letzten zehn Jahre. Es ist und wird sehr, sehr viel möglich. Dazu fehlt mir die Kenntnis, aber ich bin überzeugt, ihr versteht, wohin die Reise geht…

Der Fluch des Fortschritts

Wenn ich darüber nachdenke, wird mir schwindelig. Aus meiner Sicht wird es demnächst, sehr vorsichtig ausgedrückt, «gefährlich». In der ursprünglichen Version des Textes hatte ich hier einiges an Spekulationen aufgeführt, die ich jedoch vorerst für mich behalte. Verallgemeinert gesagt: Das Tempo wird anziehen und die Technik wird stets erschwinglicher, was definitiv Vor- und Nachteile mit sich bringt. Eines der Nachteile ist bereits real. Offensichtlich wird weniger Aufwand beim Musizieren betrieben, die Geschwindigkeit des Produzierens wird immer höher und das alles ohne mögliche Tiefe. Das musikalische Verständnis wird nicht mehr gefragt. Ein musikalisches Gespür ist dann nicht mehr von Nöten. Ein Ohr ist Vergangenheit. Die KI übernimmt. Das ist gegenwärtig schon so und wird nur mehr. Das Tempo wird anziehen. Die Menge wird anziehen. Unumstritten, unausweichlich. Spreche ist hier bereits aus vielen Herzen? Bestimmt!

Ich bin ein Teil des Ganzen

Warum schreibe ich eigentlich darüber? Die Antwort ist sehr einfach. Ich selbst drifte immer wieder von meinen Grundsätzen ab. Nehme mir selbst weniger Zeit für alles. Always on the run. Dieses Phänomen geht sicherlich mit dem Naturell des Daily Jobs Hand in Hand. Aber selbst das ist nicht die Antwort auf alles, denn wir lassen etwas mit uns machen. Ein simples Beispiel zum Thema Tempo und Menge: Neulich sass ich im Bus und vor mir eine recht junge Dame mit ihrem Smartphone hantierend auf Spotify. Das Hinhören sah ungefähr so aus, dass sie jeden Song der Playlist 5-10 Sekunden ancheckte, um bis zur Mitte vorzuswipen und nach weiteren Sekunden den Track als gut oder schlecht abzutun. Ich dachte mir nur: «Shit, unter einer Minute, da kommt ja bei mir noch nicht mal der erste Ton, haha!» Wie soll man hier generell urteilen, wenn wir uns keine Zeit allein für ein simples Hinhören nehmen?! Auf der anderen Seite, wie können wir wiederum den riesigen Schwall an Input überwältigen? Mögliche Ansätze soll es geben. Ich habe keine Lösungen parat. Fakt ist, jeder gehört dazu.

«It’s not the gear, it’s the ear!» – Hier bleiben wir puristisch, spielen das klassische Instrument und begeistern mit dem natürlichen Klang und der Spieltechnik. Ausschliesslich. In meiner Welt der experimentellen und elektronischen Musik kaufen wir Dinge und lobpreisen sie. Böse gesagt, müsste der Leitsatz angepasst heissen: «It’s not the ear, it’s the gear!» – Aber auch das trifft nicht ganz den Kern.

Ich hoffe, mein lieber Musikkollege kündigt mir nicht die Freundschaft…


Bildquelle: Google