KLANG DER VERGÄNGLICHKEIT (Phase 2)

Beobachtungen eines fortlaufenden Experiments

Im Januar begann die zweite Phase der Arbeit: eine langfristig angelegte Klanguntersuchung mit offenem Ausgang. Grundlage ist der analoge Audiowalk (Hertenstein – Audiowalk mit Klang und Lyrik) auf Kassette, der über einen längeren Zeitraum in Endlosschleife abgespielt wird, zunächst im Aussenbereich eines Gartens, später auf einem Balkon. Ziel ist es, den Wandel des Klangmaterials unter realen Bedingungen hörbar zu machen: durch Abnutzung, technische Veränderungen und Witterungseinflüsse. Das Kassettenband wird so selbst zum Träger der Veränderung.

Link zum Beitrag über Phase 1:

Das Kassettenabspielgerät lief ab Januar in einem geschützten Aussenbereich im Auto-Reverse-Modus in Dauerschleife. Durch die kontinuierliche Bewegung des Bandes war eine allmähliche Abnutzung von Anfang an Teil des Konzepts. Ziel war es, die Zerbrechlichkeit menschlicher Eingriffe und die ständige Präsenz der Natur erfahrbar zu machen. Die klanglichen Veränderungen wurden mit einem Digitalrecorder aufgezeichnet.

Ursprünglich war von einer Experimentdauer zwischen zwei Wochen und zwei Monaten auszugehen, abhängig von der Witterung (damals zwischen –6 °C und +3 °C). Doch das Band läuft bis heute, Anfang Juli, unerwartet weiter!

Inzwischen hat sich die Tonspur deutlich verändert. Die zunehmenden Verzerrungen, Defragmentierungen und der Verlust einzelner Frequenzbereiche verwandeln den ursprünglichen Audiowalk (Hertenstein) in eine abstrakte Klanglandschaft. Was hörbar wird, ist nicht nur das Werk selbst, sondern auch der Prozess seiner Veränderung, ein auditiver Ausdruck von Vergänglichkeit.

Nach dem Winter, als es draussen wärmer wurde, musste das Gerät vom Garten eines Bekannten auf meinen eigenen Balkon umziehen. Das ursprünglich eingesetzte Abspielgerät war defekt. Die Mechanik spielte das Band nicht mehr ab. Als Ersatz diente ein älteres Modell, das sich alle zwölf Stunden automatisch abschaltete und manuell neu gestartet werden musste. Ich entschied, diesen manuellen Vorgang beizubehalten.

Mit steigenden Temperaturen veränderte sich auch der Klangcharakter. Der generelle Pitch des Klangmaterials, im Winter etwas tiefer geraten, stieg über Wochen hinweg an bis hin zu einer deutlich höheren Tonlage. Seit Mai ist auch das Bandrauschen deutlich hörbarer geworden. Ein Kanal setzte zeitweise aus, weshalb die Aufnahmen seither in Mono erfolgen. Durch den Standortwechsel auf den Balkon wurde der Zugang zum laufenden Experiment direkter.

Im Juni wurden Temperaturen bis 35 °C erreicht. Auch diese Bedingungen hat das Band bislang überstanden, mit weiteren klanglichen Einbussen, aber ohne vollständigen Ausfall.

Stand Anfang Juli: Das Band läuft weiter.

Ich setze ab der kommenden Woche die Aufnahmen für einen Monat aus, um Mitte August fortzufahren. Vielleicht wird das Experiment bis in den Oktober hinein dauern? Dies hängt nun ganz von der Beschaffenheit des Kassettenbandes und der Mechanik des Abspielgeräts ab. Anschliessend werde ich eine Auswahl aus dem entstandenen Klangmaterial der vielen, vielen Stunden treffen und zu einer mehrstündigen fortlaufenden Einheit zusammenführen, als verdichteter Ausdruck eines Prozesses, in dem sich das ursprüngliche Material durch Zeit, Temperatur und Technik hörbar verändert hat. Ein auditiver Ausdruck von Vergänglichkeit.

Bis bald…

Fotomaterial: Umzug auf den Balkon

Copyright: An Moku (Dominik Grenzler)