Shapes for a Name – Eine Annäherung an die Musik des Bauhaus

Essay von Dominik Grenzler

Ich kann mich nicht mehr erinnern, was meine Faszination am Bauhaus ausgelöst hat. Vielleicht war es ein Möbelstück wie ein Sessel, in dem ich gesessen, vielleicht ein Gemälde, das ich betrachtet habe, oder vielleicht die Anschauung des Bauhauses als Ganzes? Im April 2021, nach der Veröffentlichung von „Less“ (Puremagnetik, 2021), stellte ich Micah Frank (Chef der New Yorker Plattenfirma, Puremagnetik) meine Idee der Bauhaus-Vertonung vor. Ich erinnere mich noch, wie wir damals über eine mögliche Verwechslung mit der Band Bauhaus scherzten. Micah zeigte Interesse. Im Sommer reiste ich nach Irland und verbrachte dort zwei Wochen mit Aufnahmen und einem intensiven Studium, in der Hoffnung, einen Zugang zu finden. Ich reiste nach Weimar (Deutschland) und zum Monte Verità im Tessin (Schweiz) und verbrachte Stunden in Zürcher Bauhausgebäuden. Ich wollte wissen: Was steckt hinter dieser Kunstrichtung, die sich mit Bereichen wie Architektur, Möbeldesign, Grafikdesign, Textilien, Malerei, Bühnendesign und -performance, Keramik, Metallarbeit und Fotografie/Film befasst und, die Ikonisches hervorgebracht hat? Es sollte noch ein Jahr dauern, bis ich mein Konstrukt als eine greifbare Form ansehen konnte. Aber was war mit der Musik?

Ich hatte noch nie zuvor etwas von einer spezifischen Bauhaus-Musik gehört und hoffte auf Neuland zu stossen. In den verschiedenen Publikationen, die ich über die Zeit las, hoffte ich eine mögliche Formel entdecken zu können, die mir mathematisch ein Fundament für meine Musik geben sollte. Ich hatte keine genauen Vorgaben, nur Ansätze. Also musste ich lernen, damit zu konstruieren.

Scheitert Bauhaus an der Musik?

Aus heutiger Sicht besteht die musikalische Leistung des Bauhauses nicht in einem weiteren Beitrag zu bestehenden Strömungen, sondern im Aufwerfen von Problemen, im Ausloten sich andeutender Pfade und in der Produktion unfertiger Prototypen. Diese Feststellung führt zu dem Phänomen, dass die Musik zwar am Bauhaus an den selbst gestellten Aufgaben gescheitert ist, jedoch in diesem Scheitern wichtige Impulse für musikalische Entwicklungen der 1950er und 1960er, ja sogar bis in die Gegenwart, liegen.

Erst im verdichteten Nebeneinander der Künste am Bauhaus sowie durch die rigorose „Einmischung“ bildender Künstler zeigte sich in der Musik die Existenz ungelöster Aspekte, die zukünftig behandelt werden sollten. Genau diese Dynamik scheint Laszlo Moholy-Nagy im Sinn gehabt zu haben, als er feststellte, dass es zur Förderung künstlerischer Entwicklungen „nur der richtigen Fragestellung“ bedürfe. Moholy-Nagy wies mit dieser Idee nicht nur auf die musique concrète hin, sondern, wenn man es so will, sogar auf das Ende der 1970er Jahre entstehende DJing.

Die Annahme, dem Bauhaus habe es in erster Linie an der nötigen Technik zur («total» kontrollierten) Musikproduktion gefehlt, sollte zwar nicht vollständig revidiert, aber doch relativiert werden. Eine ergänzende Diagnose könnte lauten: Vielleicht mangelte es der Bauhaus-Musik schlicht am richtigen Personal? Künstler wie Oskar Schlemmer (Triadisches Ballett) und der weltberühmte Maler Kandinsky versuchten zwar, eine generelle Musikalisierung der Künste zu erzielen, vernachlässigten dabei jedoch die Musik selbst. Ein möglicher Grund dafür könnte die Annahme gewesen sein, dass Musik keiner grundlegenden Erneuerung bedarf, da ihre Leitfunktion darauf beruhte, seit jeher abstrakt zu sein.

Die daraus resultierende Herausforderung war, dass die verfügbare Musik strukturell nicht zu den völlig erneuerten Mitteln der Bauhaus-Bühne passte. Am Black Mountain College (BMC), einer experimentellen Kunstschule in North Carolina, die von 1933 bis 1957 existierte, wagte John Cage schließlich den überfälligen Schritt einer Neudefinition von Musik, indem er sie anders dachte: durch Emanzipation des Geräuschs, Ent-Personalisierung und den Verzicht auf dramaturgische Entwicklung.

Da das Fach Musik am Bauhaus kein festes Unterrichtsfach war und es kein ein spezielles Budget dafür gab, fanden musikalische Experimente und Aufführungen meist außerhalb des regulären Unterrichts statt. Die musikalischen Aktivitäten, die ohne interdisziplinäre (Theater-) Einbindung stattfanden, wurden auf den Bauhaus-Festen und während der Bauhaus-Woche 1923 performt. Dass weder Josef Matthias Hauer noch Arnold Schönberg das Bauhaus für längere Zeit besuchten, obwohl beide mit dem Gedanken spielten, dort zu lehren und zu arbeiten, kann aus musikalischer Sicht als verpasste Chance betrachtet werden.

Sowohl das Bauhaus als auch das spätere Black Mountain College in den USA wiesen Züge der hier imaginierten Laboratorien auf, oder, wie Oskar Schlemmer es nannte, der „Versuchsballone“. Umso erstaunlicher erscheint es, dass vom Bauhaus dennoch die hier erläuterten musikalischen Anregungen ausgehen konnten. Offensichtlich waren Experimente mit Schallplatten, Grammophonen, Wachsrollen, mechanischen Pianos (wegen Entsetzen des Publikums anfänglich verworfen), Elektrizität und Film doch grundlegend und wegweisend.

Annäherung an die Musik des Bauhaus: Ein Experiment.

Die Erkenntnis über das Scheitern der Musik am Bauhaus war ernüchternd und trotz allem blieb ich fasziniert am Thema. Ich betrachtete die für mich relevanten Bereiche genauer und fasste diese zusammen:

Titelgebung: Die Stückitel des Albums „Shapes (for a Name)“ lehnen sich am interdisziplinären Ansatz des Bauhaus an, sind jedoch von mir gestaltet. Sie erzählen eine Geschichte. Ihre Erzählweise verläuft nicht unbedingt chronologisch und wird, gleich nach dem elektroakustischen Eröffnungstitel „Gestus“, von den beiden Stücken „Ebenen“ übergeordnet eingerahmt. Das Album darf das Ringen des Menschen mit Gewalten (der Mensch selbst als sein eigener Widersacher und Nationalismus als übergeordnete, sabotierende Institution) aufzeigen. Der Nationalsozialismus hatte eine komplexe und überwiegend feindliche Beziehung zum Bauhaus. Das Bauhaus und der Nationalismus, insbesondere in Form des Nationalsozialismus, standen in vielen Punkten im Gegensatz zueinander. Das Bauhaus war eine progressive Kunst- und Designschule, die 1919 von Walter Gropius in Weimar gegründet wurde. Sie betonte Interdisziplinarität, Modernismus und die Verschmelzung von Kunst und Handwerk. Ihre Ideen waren oft avantgardistisch und standen im Kontrast zu traditionellen künstlerischen Normen. Der Nationalsozialismus hingegen, der in den 1930er Jahren in Deutschland aufkam, betrachtete die modernistischen Tendenzen des Bauhauses mit Misstrauen und sah sie als “entartet” an. Der Nationalsozialismus betonte konservative, traditionelle Werte und lehnte viele der Ideen und Konzepte ab, die das Bauhaus verkörperte. 1933 wurde das Bauhaus unter dem Druck der Nazis geschlossen. Einige Künstler und Pädagogen gingen in die USA und hatten eine Verbindung zum Black Mountain College. Einer der bekanntesten Bauhaus-Mitglieder, das zum Black Mountain College ging, war Josef Albers. Er lehrte dort von 1933 bis 1949 und hatte einen tiefgreifenden Einfluss auf die Kunstpädagogik in den USA. Seine Kurse in visueller Grundausbildung waren stark von der Bauhaus-Pädagogik geprägt und beeinflussten Generationen von amerikanischen Künstlern.

Ein Beispiel anhand von „Unruh im Stillleben“ und dessen Doppeldeutigkeit: Die Unruh in einer Uhr ist ein zentrales Bauteil in mechanischen Uhren. Sie ist ein Teil des Uhrwerks und dient dazu, die Zeit zu messen, indem sie in einer gleichmäßigen Schwingung hin und her pendelt. Diese Schwingung der Unruh wird durch eine Spiralfeder reguliert, was die Genauigkeit der Uhr sicherstellt. Das Stillleben ist eine Kunstform, die sich auf die Darstellung von in der Regel unbeweglichen Objekten oder Arrangements von Gegenständen konzentriert. In der Komposition verzichte ich bewusst auf akustische Elemente eines Uhrenwerks und belasse es bei Anspielungen durch andere verfremdete Geräusche auf die aufkommende politische Unruhe.

Und selbstverständlich meine Wahl, den Anglizismus bei der Namensgebung des Albums ‘Shapes (for a Name)’ als die Hauptandeutung auf Bauhaus und seine Formen zu verwenden.

Stimmung:Shapes (for a Name)“ dient als eine musikalische Annäherung nicht nur an ein einzelnes Konzept, sondern an die Idee als Ganzes – es ist ein Experiment. Es handelt sich um meine Interpretation eines Aspekts, der in seiner ursprünglichen Form nicht klar definiert war. Meine durch das Bauhaus inspirierte Musik distanziert sich von jeglicher Esoterik, auch wenn meine Kompositionen hypnotische Züge aufweisen – ein Aspekt, der mir sehr wichtig ist.

Das Bauhaus entwickelte eine Farbenlehre, die ich zwar berücksichtigte, aber nicht vollständig in meinen Kompositionen integrierte. Eine sehr gute Freundin von mir (anonym) nimmt Musik als Farben wahr, aufgrund synaptischer Verbindungen in ihrem Gehirn. Ich lasse sie meine Musik hören, um sicherzugehen, dass ich die gewünschte Farbskala getroffen habe. Bei „Shapes (for a Name)“ orientiere ich mich an den drei Hauptfarben des Bauhaus (Gelbb, Rot, Blau) und bewege mich vor allem im Spektrum von Rot und Blau.

Das Albumcover gestaltet erneut John Whitlock, ein Künstler aus New York. Auf dem Cover sind charakteristische Bauhaus-Formen wie Kreis, Dreieck und Rechteck zu erkennen. John experimentiert mit den Elementen und gibt viele Andeutungen. Die Farbpalette bleibt warm und subtil gehalten. Alles bewegt sich im Bereich der Andeutungen. Im Mittelpunkt des Covers ist ein Buch abgebildet, das als Symbol für Wissen dient. Ebenso sind weitere Materialien angedeutet, die ich klanglich verarbeitet habe.

Bewegung: Als weiteres Element im Bauhaus betrachte ich das bewegte Bild. Der aufkommende Film sorgte für gesteigerte Aufmerksamkeit im Bauhaus. Edgar Reitz bemerkte hierzu: „…Die Bilder, die Bewegung des Lichts, sind auch musikalisch. Musik macht man nicht nur mit Geigen oder einem Orchester, sondern sie ist alles, was sich in einer konstruktiven Weise polyphon bewegen kann. Und das können Filmbilder genauso. Der Film ist eigentlich ein Zweig der Musik.“ Im von Sasha della Moon performten Clip werden viele Grundmaterialien miteinander vereint, einschliesslich zwei Hauptbereiche des Bauhauses: Architektur und Bühnenperformance. Sasha interpretiert zeitgenössischen Drehtanz, angelehnt an das Sema-Ritual der Derwische. Ihr Drehritual verkörpert das runde Element als Schönheit und Grazie in konzentrierter Form – ein praktisches, greifbares Symbol. Der Clip ist eine Kompilation ihrer ausgedehnten Drehperformance zu den Stücken „Ebenen“, die den thematischen Rahmen für „Shapes (for a Name)“ setzen.

Vertonung: Ebenso habe ich einige Materialien klanglich verarbeitet, darunter Wasser, Holz, Glas, Beton und Stahl. Bei genauerem Hinhören können diese eventuell identifiziert werden. Ein wichtiges und immer wiederkehrendes Element in meiner Arbeit ist das Knistern von Vinyl, welches ich sorgfältig in analoger Form gesampelt habe. Ich durchstöbere gerne meine Plattensammlung auf der Suche nach interessanten Endlosrillen im Vinyl voller staubiger Kratzer. Das Wabern des Bandes dient als Anspielung auf die Wachswalze und das Experimentieren mit dem Klang und das daraus resultierende Konzept der musique concrète. Für die Umsetzung nutzte ich mein modulares System sowie einige Hardware-Geräte, darunter Sampler, analoge Diktiergeräte, Bandmaschine, iPad, Bassgitarre, elektroakkustische Mikrofone. Die verwendeten Effektketten ähneln denen, die bereits bei den Aufnahmen zu “Less” verwendet wurden, einer musikalischen Bassgitarren-Interpretation von Hautology (Puremagnetik, 2021). Das Mixing führte ich digital („in the box“) durch.

Gleich nach der Fertigstellung des „Shapes (for a Name)“ begann ich mit dem nächsten Album „Raum im Raum“ (letzter Teil der Raum-Trilogie mit dem deutschen Musiker und Freund Stefan Schmidt, veröffentlicht von der Berliner Plattenfirma Karlrecords). Um der Raum-Trilogie eine neue Richtung zu geben, integrierte ich Musikstücke aus meinem Bauhauskontingent. Diese beiden Stücke sind RiR °5 und RiR °3. Laut eines französischen Printmediums entzieht sich das Album einer Schubladisierung. In meinem nächsten Blog-Beitrag werde ich ausführlich auf die gesamte Raum-Trilogie eingehen…



Es bleibt unklar, welche Rolle die Rhythmik im Bauhaus spielte. Der Rhythmus wurde offenbar als Lehrbegriff verwendet, um die Einheit von Körper und Seele zu symbolisieren. Johannes Itten berief sich in diesem Zusammenhang ausdrücklich auf die Methoden von Gertrud Grunow, die den Körper ins Zentrum ihrer Lehre stellte: „Klang und Farbe lösen im Menschen Bewegungen aus, und zwar in ganz bestimmten Zentren, für ganz bestimmte Töne und Farben.“ Ich spiele mit dem Rhythmus, verberge oder offenbare ihn an verschiedenen Stellen. Ich orientierte mich dabei am faszinierenden Goldenen Schnitt (Golden Ratio), der in der Natur omnipräsent ist, sowie an der Fibonacci-Folge. Diese dienen mir als jene Formel, die ich ursprünglich vermisste. Hätte die Bauhaus-Musik das für gut befunden?

In Zusammenarbeit mit Micah Frank (Puremagnetik) entsteht nach „Fragment“ ein zweites Musik-Plug-in: „Stages – Dual Golden Ratio Delay“. Die Idee verwirklichte ich zunächst in Form eines sogenannten Patches für eines der für mich unabkömmlichen Musikgeräte: Zoia. Laut meiner Kenntnis exisitert auf dem Markt bis heute kein vergleichbares Plug-in. In aller Bescheidenheit – das Ergebnis macht mich sehr stolz. In dem ca. 8-minütigen YouTube-Video erkläre ich die Funktionen des Plug-ins und erläute kurz den Zusammenhang mit „Shapes (for a Name)“.

Im Jetzt.

Genau ein Jahr nach der Fertigstellung wird „Shapes (for a Name)“ veröffentlicht. Würde ich das Projekt heute anders angehen, etwas anders machen? Ja und Nein. Vielleicht hätte ich einige Kompositionen des Albums im Klang natürlicher und offener gelassen. Aber das Bauhaus repräsentiert für mich einen experimentellen Baukasten, mit dem musikalisch Sandburgen kontruiert werden können. Im Versuchsballon…

Dominik Grenzler
Zürich, September 2023

Danksagung: Sara Hochuli, Micah Frank, Elisabeth Nold-Schwartz, Cristina Oliviera, Alexandra Moskovchuk, Stephanie Pirker-Seiler, Richard Reich, Guido Kippelt, Taylor Deupree, John Whitlock, Vanessa Zimmermann

Shapes for a Name (Puremagnetik, 2023)

  1. Gestus
  2. Ebenen der sich kreuzenden Mikrojahreszeiten
  3. Atem der Fische
  4. Im Wandel
  5. Ebene aus Punkt und Linie
  6. Gedanke und Erinnerung
  7. Zwischen Wort und Bild
  8. Zu neuen Ufern
  9. Unebenheiten einer Form
  10. Alles Fliessende
  11. Unruh im Stillleben
  12. Illusion der Einzigsartigkeit
  13. Ebenen der galoppierenden Triaden

Quellenverzeichnis:
Andi Schoon - Die Ordnung der Klänge. Das Wechselspiel der Künste vom Bauhaus zum Black Mountain College, 2006
Elizabeth Otto und Patrick Rössler - Bauhaus Women: A Global Perspective & The Sound of the Bauhaus, 2019
David Hendy - Noise. A Human History of Sound and Listening, 2013
Wilfried Kirsch - Bauhaus und Musik